Die Geschichte der heutigen Integrationsteams des ESV Neuaubing begann durchaus zwiespältig: mit einem Traum und einem Albtraum. Zunächst zum
Traum. Olaf Butterbrod, heute Abteilungsleiter Fußball beim ESV Neuaubing, erfüllte sich im Herbst 2011 einen langgehegten Wunsch: Im Rahmen eines Freiwilligeneinsatzes spielte er in Tansania zehn
Wochen lang mit Waisenkindern Fußball.
Begeistert davon, wie einfach es der Fußball macht, Grenzen und Unterschiede aller Art zu überwinden, setze es dieses Engagement in München
fort. Hier waren es junge Geflüchtete, die er fortan zweimal in der Woche auf der Sportanlage seines Arbeitsgebers BayernLB coachte. Dieses offene Fußballangebot im Englischen Garten sprach sich schnell herum und wurde zu einem echten
Erfolgsmodell. Bald gehörten mehr als 30 Jugendliche und junge Erwachsene zum Team. Die meisten von ihnen stammten aus Afghanistan, hinzu kamen Kriegsflüchtlinge aus Eritrea, Somalia und dem
Irak.
Weniger harmonisch, sondern eher albtraumhaft verliefen im Frühjahr 2015 die letzten Monate der Fußball-Herrenmannschaften des ESV Neuaubing.
Aufgrund eines internen Abteilungsstreits löste der ehemalige Fußballvorstand des ESV Neuaubing beide Herrenteams auf und meldete sie vom Verbandssport ab. Daraufhin gab es ernsthafte Überlegungen,
die Anlage nur noch zu vermieten und Junioren- und Seniorenteams zwar zu halten, aber den Herren-Fußballsport beizulegen. Christian Brey, Vizepräsident und mehr als 35 Jahre Mitglied der ESV
Fußballabteilung, wollte sich damit nicht abfinden. Denn er kannte das andere Gesicht der Abteilung: ein freundliches Miteinander, das obendrein auch noch sportlich erfolgreich war.
Im Mai 2015 spielte der Zufall Schicksal: Ismael Balaban, ehemaliger Trainer des ESV Neuaubing, half bei Olaf Butterbrods Hobbymannschaft im
Englischen Garten aus. Schnell sah er, dass diese Kicker sowohl sportlich als auch charakterlich das Zeug haben, um im Ligabetrieb des Bayerischen Fußball-Verbandes zusammenum zu spielen. Balaban brachte Olaf Butterbrod und Chris Brey zusammen. Dieses Treffen – und ein anschließendes Kennenlern-Turnier auf dem Gelände des ESV – waren die
Geburtsstunde des „neuen ESV Neuaubing“. Der Umzug aus dem Englischen Garten in den Münchner Westen war beschlossene Sache. Eine Spende der Stiftung Findelkind e.V. garantierte die Mitgliedsbeiträge
für jenes Team – das erste, das fast komplett aus Geflüchteten bestand.
Die ersten Spiele wurden gespielt – und gewonnen. Noch erfreulicher waren jedoch die positiven Reaktionen der Gegnerteams, Schiedsrichter und
Zuschauer auf das sportlich-faire Auftreten des ESV Neuaubing. Schnell war klar: Dieses Experiment, ein „Flüchtlingsteam“ beim Bayerischen Fußball-Verband anzumelden, ist geglückt. Der vielleicht
größte Erfolg war die Rückkehr der alteingesessenen Neuaubinger Spieler, die das Auftreten der Neuzugänge derart überzeugt hat, dass sie ein Teil dieser Mannschaft werden wollten. Denn das war der
Moment, als aus einem Flüchtlingsteam eine Integrationsmannschaft wurde.
Von einem ganz normalen Fußballteam zu reden träfe dennoch nicht ganz zu. So schwebt stets das Thema Abschiebung über der Mannschaft. Diese
besteht zu einem großen Teil aus Afghanen – und die Bayerische Staatsregierung hat Afghanistan zu einem sicheren Herkunftsland erklärt und so Abschiebungen grundsätzlich ermöglicht. Darüber hinaus
gibt es weitere Themen abseits des Fußballplatzes, wo die Fußballabteilung mit anpackt: Deutschkurse, Wohnungs-, Praktikum- und Jobsuche, psychologische Begleitung und solche bei Behördengängen
und vieles andere mehr.
Dass dieses „Angebot“ gut ankommt, zeigt allein schon die Gründung einer zweiten Mannschaft in der Winterpause, die die Rückrunde außer
Konkurrenz bestreiten durfte. Es waren einfach zu viele Spieler da – ein Luxusproblem... Zumeist kamen (und kommen) 35 Spieler zum Training. Insgesamt hat die Fußballabteilung im Herrenbereich rund
50 Aktive!
Trainiert werden sie seit Februar dieses Jahres von Matthew N Okoh, einst Bundesligaspieler bei 1860 München und der Spielvereinigung
Unterhaching. Er bringt seine ganze Erfahrung beim ESV Neuaubing ein und hat die Mannschaft letztlich auf Platz 7 der Meisterschaft geführt. Die letzten Spiele haben gezeigt, dass das Ziel Aufstieg
in der kommenden Saison keine Utopie ist.
Es ist also nicht ganz abwegig, hier von einer Erfolgsgeschichte zu reden. Erfolgsgaranten sind jedoch nicht nur Spieler, Trainer, Initiatoren
und Funktionäre. Nein, es gibt viele gute Seelen, die diese Mannschaft erst zu dem machen, was sie ist. Zum Beispiel Platzwart Daniel Wenzel, Kassiererin Lavinia Seide oder die engagierten
Jugendtrainer. Die Fotografen, die die Mannschaft seit Beginn an begleiten. Und die zahlreichen Sponsoren und Unterstützer, ohne die die Herrenfußball-Mannschaften niemals das wären, was sie sind:
Ein Musterbeispiel dafür, was der Sport Großartiges zu leisten imstande ist.